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Martin Krsek: Vila Alfred Spahn

Es war seinerzeit das höchste Haus in der Umgebung, heute duckt es sich im Schatten der Plattenhäuser des nahe liegenden Neubaugebiets. Die Villa hat vom außen nicht viel geändert, sie ist nur baufällig. Beträchtliche Schäden haben der Garten und besonders die Verzierung der Interieure erlitten. Es ist hinsichtlich des dramatischen Schicksals des Hauses nicht zu verwundern.

Alfred Spahn begann seinen raschen Aufstieg auf der Gesellschaftsleiter im Jahr 1903, als die Magdeburger Unternehmer Gebrüder Commischauer sich ihn als Geschäftsvertreter seines Maschinenbauunternehmens in Ústí nad Labem ausgewählt hatten. Zwei Jahre später kaufte die Firma eine alte Mühle in Neštěmice und baute sie in eine moderne Fabrik um. Alfred Spahn wurde ihr Direktor. Die österreichische Filiale in Neštěmice produzierte dieselben Waren wie ihr Mutterunternehmen im deutschen Magdeburg. Das heißt Transporttechnik – Schnecken- und Bandförderer, verschiedene spezielle Förderwagen usw. Das Unternehmen blühte auf, seine Erzeugnisse gewannen Medaillen auf Messen. Der Direktor Spahn wurde zunächst zum stillen Gesellschafter und 1911 zum einzigen Eigentümer der Firma in Neštěmice. Der neue Herr Fabrikant begann im Jahr 1912 eine private repräsentative Residenz zu bauen. Er wählte sich ein Grundstück direkt oberhalb se Unternehmensareals aus, zur Arbeit hatte er es nur einige Schritte auf der prachtvollen Treppe entfernt.

Das Aussehen des Hauses muss seinerzeit eine Aufregung hervorgerufen haben. Es herrschte damals in der Villenbaukunst in Ústí und Umgebung eine Mode von romantischen Stilen, höchstens mit Jugendstil-Merkmalen ergänzt. Und in Neštěmice wuchs plötzlich eine modernistische Villa mit einer schlichten Fassade ohne die übliche Verzierung. Sie trägt Einflüsse der Wiener Moderne, ihres klassizisierenden Zweiges. Die Mäßigkeit in der Verzierung schadete der Villa bestimmt nicht. Die wirksame architektonische Bauart machte bald die Spahns Villa zur hiesigen Dominante. Sie wurde sogar auf Ansichtskarten abgebildet, ihre Abbildung schmückt auch die Stirnseite einer der Chroniken von Neštěmice.

Das Dach bildet ein dominantes Ausdrucksmerkmal. Die Villa hat drei voll bewohnbare in ihrer Zeit ungewöhnlich hohe Geschosse. Um das Haus optisch niedriger zu machen, maskierte der Architekt das dritte Geschoss als Mansardedach. Dadurch wurde die Dachmasse fast so groß wie das Haus selbst. Das Aussehen des Daches krönen dann in den Dachgiebel in der Breite des ganzen Hauses eingelassene Loggien. Wer der Architekt solches unkonventionellen Projekts war, bleibt leider unbekannt. Die ursprünglichen Baupläne sind verloren, sowie auch der Teil der Chronik, der sich der Bauentwicklung der Gemeinde widmet.

Zum Haupteingang führt eine breite, mit einer geräumigen Terrasse endende steinerne Treppe. Den Eingang säumt ein auf Säulen gestelltes Zahngesims, das praktisch die einzige Stuckdekoration der Fassade darstellt. Die Eingangstür mit Rundfenstern sowie der Terrazzomosaikboden im Vorraum sind ursprünglich. Aus der Alfred Spahns Zeit kommt auch die verglaste hölzerne Schwingtür mit massiven Messinggriffen, die den Raum in die Treppenhalle öffnen. Diese ist unheimlich riesig, über zwei Stockwerke hoch. Nach den Zeitgenossen stand noch nach dem Krieg im Erdgeschoss der Halle noch ein Kamin und aus der Decke hing ein mächtiger Leuchter. Heute wirkt der Raum leer und die Plattenbautüren der Wohnungen machen ihn nicht gemütlicher. Der Blick nach oben entschädigt uns aber für den kalten Eindruck der Halle. Das zweite Geschoss wird durch einen Ring des Holzumgangs mit einem einfachen aber stilvollen Geländer umspannt. Die Treppe ist ein einzigartiges Element. Der Architekt konzipierte sie sparsam als eine Wandeltreppe. Sie windet sich in der Ecke der Halle wie ein Aal bis ins dritte Geschoss.

Die Hallendecke dominieren einfache, dunkel gebeizte, über die ganze Raumbreite ziehende Balken. Nur dort, wo die Treppenschnecke die Decke durchbricht, biegen sie zur Seite. Die Rande der Decke säumt eine Malerei mit Blumenmotiven. Den Raum erhellt eine Reihe von hohen, farbigen, bleiverglasten Fenstern. Ein unerwartetes Element in der Halle sind zwei vermauerte halbrunde neuromanische Fenster neben dem Wohnungseingang im zweiten Geschoss. Sie sollten wahrscheinlich ursprünglich das Licht in den dunklen Flur bringen.

Im ersten Geschoss befinden sich zwei Wohnungen, die durch Einteilung der früheren Repräsentationsräume entstanden sind. Beide Wohnungen haben einen Ausgang auf die Hinterterrasse in den Garten. Das zweite Geschoss bietet auch zwei Wohnungen, die durch den Umbau der ursprünglichen Schlafräume der Spahn-Familie entstanden sind. In einem Raum blieb eine Stuckverzierung in Form eines Blumenkranzes um den Leuchter erhalten. Jede diese Wohnung hat auch einen großen Balkon und Zutritt in den Wintergarten. Dieser ist sehr originell konzipiert, er bildet einen verglasten Tunnel zwischen beiden Balkons. Er schmückt auch die Hinterfassade des Hauses. Im dritten Geschoss befinden sich zwei nächste Wohnungen, wieder mit geräumigen Loggien ausgerüstet. Hier wohnten höchstwahrscheinlich die herangewachsenen Kinder Alfred Spahns, er hatte zwei Söhne und eine Tochter. Das Haus krönt ein geräumiges Dachgeschoss mit großen Ovalfenstern in Giebeln.

Das Haus steht auf einer hohen Untermauerung aus Stein, die die Wand des Untergeschosses bildet. Im Keller befand sich früher die Küche, was die Überreste des Speisenfahrstuhls belegen, es war hier auch ein Kesselraum. Kohle wurde selbstverständlich durch einen Bandförderer der Firma Commischauer hineingebracht. Der Rest der Einrichtung wurde erst vor einigen Jahren demontiert.

Die Villa wird durch einen Garten umgeben. An seine vergangene Schönheit erinnert eine gemauerte Gartenlaube mit großen Fenstern, die heute als Brennholzlager dient. Unter der Gartenlaube gab es ein langes Treibhaus im ähnlichen Design, wie der Wintergarten. Es verschwand langsam unter der Aschenkippe. Die Direktorentreppe in die Fabrik ist auch schon längst weg. Aber das kleine Wasserbecken, das auch die Nachkriegsbewohner noch im Sommer zur Erfrischung ausnutzten, überlebte und es könnte auch noch heute dienen.

Spahn und seine Familie lebten in der Villa zwanzig Jahre. Während dieser Zeit wurde die Maschinenfabrik der Gebrüder Commischauer zu einem der führenden tschechoslowakischen Exporteure von Transporteinrichtungen, der 300 Menschen beschäftigte. Der Inhaber strebte hart nach dem Gewinn, was auch seine häufigen Konflikte mit den Abeitern belegen. In den 20er Jahren erlebte die Fabrik zwei große Streike, beide endeten mit einem Misserfolg der Streikenden. Durch die Weltwirtschaftskrise, die auch zur Einstellung des Exports führte, machte aber das Unternehmen Pleite. Spahn begann die Arbeitnehmer zu entlassen und 1933 stellte er definitiv die Produktion ein. Der Chronist der Stadt Neštěmice sah aber in der Krise nicht die einzige Ursache des Bankrotts. „Das Unternehmen gelang in finanzielle Schwierigkeiten infolge des hemmungslosen Luxus und des aufwendigen Haushalts, den die Familie des Inhabers führte.“ Als Beweis listet er kleine Gewerbetreibende auf, die zur zahlreichen Gruppe der Spahns Gläubiger gehörten. Unter ihnen waren Schneider, Wein- und Delikatessenhändler… Nur die Schulden beim Zuckerbäcker und beim Gärtner erreichten die Höhe von 20 000 Kronen.

Der Inhaber ertrug die schwierige Situation nicht und als er zur Kur im Sanatorium Weißer Hirsch bei Dresden war, erschoss er sich. Er hatte wahrscheinlich mehrere Gründe für den Selbstmord, er war unheilbar krank und hatte auch eine Lebensversicherung in der Höhe von 1,7 Millionen Kronen abgeschlossen. Das Unternehmen ging in Konkurs, die Schulden lagen über 6 Millionen Kronen. Der abgeschätzte Preis war kaum 3,5 Millionen. Das Aussiger Bankhaus Wolfum u. Co. kaufte zum Schluss als Hauptgläubiger das ganze Unternehmen im Konkurs. Es ist interessant, dass Anna Spahn eine Forderung in der Höhe von mehr als einer halben Million bei der Firma ihres verstorbenen Ehemanns beanspruchte. Die Familie musste aus der Villa ausziehen, das Haus gehörte zu dem Wertvollsten, was die Gläubiger verwerten konnten. Obwohl der Fabrikant Spahn ein harter Kapitalist war, war er doch verantwortlich und haftete für seine Firma mit seinem ganzen Vermögen, einschließlich der Hauseinrichtung und der Bettwäsche. Die einst stolze Villa blieb für eine lange Zeit verlassen. 1943 kaufte sie die Firma Josef Grimm u. Co., Spiegelhersteller und Glasschleiferei.

Nach dem Krieg wurde das Haus konfisziert und wurde zum Bestandteil des Wohnungsunternehmens. Es wurden aber für lange Zeit nur zwei Wohnungen im Mansardegeschoss bewohnt. Man überlegte die Möglichkeit, die Repräsentationsräume für einen Kindergarten auszunutzen. An dieses Vorhaben erinnern bis heute die im Dachgeschoss gelagerten Kinderbetten. Eine andere Variante war ein Umbau zu Büroräumen. Schließlich wurden auch die restlichen Räume in Gemeindewohnungen eingeteilt. Das Rathaus in Neštěmice verkaufte in den 90er Jahren die meisten davon den Mietern. Die Einteilung des Hauses unter eine größere Zahl von Eigentümern ist aber für die Zukunft der Villa nicht ideal. Jeder Eigentümer rekonstruiert nach seiner Art. Das beginnt sich in der uneinheitlichen Gestalt des Gebäudes widerzuspiegeln.

Obwohl die Familie des Fabrikanten die Villa schon vor mehr als siebzig Jahren verließ, wird sie immer noch von der älteren Generation Spahns Villa benannt, und der zu ihr führende Weg trägt den Spitznamen „komiška“ nach dem Namen der (Commischauer) Maschinenfabrik.

Wo kann man den Bau finden

Mapy.cz

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Vila Spahn - dobová kresba

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historická fotografie - vila Spahn