Martin Krsek: Schlösschen Brná/Birnai
Es reicht, wenn man auf den Briefumschlag „Zámeček Brná“ (Schlösschen Brná) zu schreibt und der Briefträger weiß genau, in welches Haus er die Sendung einzureichen hat. Die Villa mit einem charakteristischen polygonalen Turm ließ sich der reiche jüdische Händler Kahn in der kleinen Gemeinde nicht weit von Ústí nad Labem im Jahr 1895 bauen. „Schlösschen“ (Zámeček) begann man ihn aber erst dreißig Jahre später zu bezeichnen, als das Haus die Familie des Barons Herzogenberg bezog. Die übernahm dann die Volksbezeichnung auch in ihre offizielle Adresse. Und „Schlösschen“ wird das Haus bis heute benannt, obwohl drinnen schon jahrelang die Veterinärverwaltung ihren Sitz hat.
Die Villa Kahns´ wirkt wirklich ein bisschen als ein Schlösschen, die thront majestätisch auf dem steilen Hang oberhalb der Elbe. Sie hat eine sehr vielfältige Fassade mit reichem Stuck im historisierenden Neubarock- und Neurenaissancestil. Das Obergeschoss umringen antike Säulen und über dem Eingang prangt ein Wappen. Das Ganze Gebäude krönt ein hoher und mächtiger Turm, den im höchsten Stock ein mit einer Reihe von verzierten Konsolen getragener Umgang umspannt.
Ein Geschenk des Herzogs Rohan
Wahrscheinlich auch deshalb gefiel das Haus dem Herzog der Herrschaft in Sychrov, Alain Rohan, der es 1925 für seine weniger wohlhabenden Verwandten kaufte, für die Familie des Barons Ottokar Herzogenberg. Dank des autobiographischen Buches seiner Tochter Johanna haben wir die einzigartige Möglichkeit, auch etwas aus dem Alltagsleben in dem „Schlösschen“ zu erfahren.
Die dekorativ ausgefertigte Jahreszahl 1895 auf der Fassade der Villa ist das einzige Anzeichen zur Bestimmung des Alters des Hauses. Es blieben nämlich keine ursprünglichen Pläne des Hauses erhalten. Wir wissen auch über den Bauherrn wenig. Es war ein jüdischer Händler Namens Kahn, und er gewann sein Reichtum, dessen Größe der Prunk des Hauses belegt, durch Obstverkauf. Der war im 19. Jahrhundert in der Region von Ústí ein ziemlich lukrativer Handel, das hiesige Obst wurde im Großen mit Schiffen nach Deutschland geliefert. Was die Familie Kahn dazu führte, das Haus im Jahr 1925 zu verkaufen, bleibt unbekannt. Warum aber der Herzog Rohan das Haus kaufte, wissen wir sicher. Er schaffte es offiziell als Geschenk für das Kind seiner Nichte Berta Herzogenberg, Heinrich, an. In der Tat sicherte er dadurch aber die ganze Familie des Barons Ottokar. Der hatte kein Erbgüterrecht und war gezwungen, mit seiner Ehefrau Bertha und mit seinen Kindern bei Rohans im Schloss Sychrov untergebracht zu sein. Der Herzog widmete seinen Verwandten nicht nur ein luxuriöses Obdach, sondern auch eine Unterhaltsquelle, denn zu der Villa gehörte auch eine Gärtnerei. „Wir lebten von der nicht hohen Rente meines Vaters, dazu kamen die Einkünfte aus der Gärtnerei und von Zeit zu Zeit ein großzügiges Geschenk von Verwandten“, beschrieb die ökonomische Situation der Familie Johanna, die noch heute mit fünfundachtzig, mehrmals im Jahr das „Schlösschen“ besucht. Die Einkünfte der Familie, obwohl nicht astronomisch, ermöglichten sie ihr doch eine Köchin, Dienstmädchen und eine Erzieherin für die Kinder zu halten.
Ein Büro stat dem Wintergarden
Die Einfahrt zu der Villa ist leicht zu übersehen. Nur eine Säule Es aus Rundziegeln, die einst ein Schmiedetor trug, macht auf sie aufmerksam. Der Bau selbst ist dann hinter einem Wall aus hochgewachsenen Bäumen verborgen. In der Richtung zu den Ankommenden stellt das „Schlösschen“ seinen mächtigen Turm zur Schau, der Haupteingang ist jedoch an der Seite. Der Besucher geht die kurze, mit einer Markise mit Schmiedekonsolen überdachte Treppe hinauf und er gelangt in den Vorraum. Auf dem Fußboden sind zwar moderne Fliesen, aber die Stuckdecke verrät eindeutig, dass wir eine prunkvolle Residenz betreten. Die Stuckverzierung ist aber durch eine nicht ursprüngliche Scheidewand überquert. Dahinter gehen die Pflanzenreliefe in einen herrlichen hellen Raum mit großen halbrunden Fenstern weiter. Es handelte sich wahrscheinlich ursprünglich um einen Wintergarten. Heute befindet sich hier einer der Räume der Veterinärverwaltung. Der betreffende Angestellte muss sich hier an sonnigen Tagen wie eine Orchidee im Treibhaus fühlen. Den Wintergarten trennten von dem Vorraum schon die ursprünglichen Eigentümer, denn Johanna von Herzogenberg erwähnt den Raum in ihren Memoiren als ein Kinderzimmer. Der Vorraum geht in einen Gang über, mit einer Nische für eine Statue, die eine Muschel und ein Engelrelief krönen. Der Gang wird hinter der vierteiligen Klapptür breiter. Der Raum wird durch das Oberlicht mit farbiger Bleiverglasung erleuchtet. Der Gang behielt seinen ursprünglichen schwarz-weißen Fliesenbelag mit Farbbordüre. Von hier aus kann man ins ehemalige Kinderschlafzimmer eintreten. Der Raum ist dunkel, er hat nur eine kleine verglaste Nische. Die Stuckdecke wird von zwei nachher eingebauten Balken untergestützt. Neben dem Kinderschlafzimmer befindet sich die ehemalige Küche, der kleine Raum gegenüber diente als ein Zimmer für die Köchin. Die Villa ist scharf in den Hang eingeschnitten, sodass man aus dem Erdgeschoss stufenlos die Keller betreten kann. Es handelt sich um eine Reihe von kleinen und hohen Kammern, deren Wände in Richtung zum Hang gewölbeförmig sind, um dem Druck der Erdmasse zu widerstehen.
Ein Geheimeingang
Durch den Keller konnte man auch durch eine „Geheimtür“ aus dem Haus schleichen. Die ist heute wegen der ungebetenen Gäste vermauert. Die meisten Fenster im Erdgeschoss werden durch Schmiedegitter geschützt. Der Händler Kahn hatte wahrscheinlich Angst vor Dieben, denn alle Einfänge sowie größere Fenster wurden dazu noch mit Blechrollos, die wir von den Schaufenstern der alten Läden kennen, geschützt. Noch heute könnte dieses Erzeugnis der Firma „Schlossermeister Carl Maag“ aus Ústí die Villa in einigen wenigen Minuten in eine uneinnehmbare Festung verwandeln.
In die oberen Etagen tritt man durch den Turm, der auch eine große Schneckentreppe umfasst. Der Turm bildet einen monumentalen, über zwei Geschosse hohen Raum. Die Turmdecke schmücken Stuckgesimse und ein Stuckrelief in der Mitte, aus dem einst ein prachtvoller Leuchter aus Kristallglas hing. In den Räumen unterhalb der Treppe befinden sich kleine Kammern, in denen Lebensmittel gelagert wurden. Im Turm war auch ein Dienstengang. Aber zu der Herzogenbergs Zeit nutzten ihn auch die Hausherren, denn der Haupteingang war auf die Dauer verschlossen und der Vorraum wurde zum Lager von Wintermänteln.
Die Treppe mündet in einen Gang mit erhaltenem historischem Fußbodenfliesbelag. Er ist eine Kreuzung, aus der man alle Räume betreten kann. Das Geschoss dominiert ein Salon. Er ist mit pentagonaler Nische mit Fenstern abgeschlossen, die sich auf der Fassade als ein prachtvoll verzierter herausspringender Risalit mit zwei halbrundern Seitenerkern auswirkt. Im Salon standen Tische des Herren und der Herrin des Hauses, heute ist es ein Sitzungsraum.
Klein Teich ist verschwunden
Durch den Salon tritt man durch eine Ziertür ins Direktorbüro, früher Esszimmer. Der Raum zeichnet sich durch eine mit dunkel gebeiztem Holz verkleidete Decke und einen Sockel in demselben Stil aus. Früher war der ganze Raum aus Holz, es handelte sich um eine verglaste Veranda. Wie Johann erinnert, die hölzernen Säulen wurden ganz vom Holzwurm aufgefressen und so ließ der Baron in den 30er Jahren die Wände einmauern. Im Esszimmer blieb eine falsche Tür, die als Tür des Einbauschrankes diente. In der Vitrine war einst ein festliches Meißner Porzellanservice für 36 Personen. Der breite Kamin, in dem man nur zu Weihnachten Feuer angemacht hatte, blieb nicht erhalten. „Bei aller Großzügigkeit des Hauses war der Komfort im Vergleich zu der heutigen Zeit sehr gering – zwei Toiletten und ein Badezimmer mit einem Holzkessel“, kommentiert die Autorin der Memoiren die Sanitärausstattung des Hauses.
Neben der Treppe im Turm konnte man zum Betreten des Obergeschosses auch die architektonisch markante Außentreppe benutzen. Die klettert an der fünf Meter hohen Stützmauer und endet im Garten. Der Garten befindet sich in der Höhe des ersten Stocks und man gehr direkt aus dem Gang des Hauses hinein. „Bei schönem Wetter verbringen die Mitarbeiter ihre Mittagspause draußen in dem angenehmen Garten“, kommentierte die ungewöhnliche Ausrüstung des Gebäudes der Regionalen Veterinärverwaltung ihr stellvertretender Direktor Pilous . Im Garten ist noch heute eine Grotte zu finden. Die Überreste eines kleinen Teiches, in dem einst goldene Fische schwammen, wurden vor kurzem zugeschüttet.
Aus dem Obergeschoss führt nur eine schmale Treppe in das Dachgeschoss. Es ist ein Weg in den romantischsten Raum der ganzen Villa – in das Turmzimmer. Der oktagonale Raum hatte in jeder Wand ein Fenster, heute sind zwei davon eingemauert. „Das Turmzimmer war sehr schön und beliebt, aber es war kaum auszuheizen, denn es lag oberhalb der großen Treppe“, schilderte den Widerspruch zwischen der Romantik und Realität Johanna von Herzogenberg.
Aus dem Zimmer geht man auf den Umgang, der eine herrliche Aussicht auf das Elbetal bietet. Wem diese Aussicht noch nicht reicht, der kann noch weitere drei Meter hoch die Treppe hinauf steigen, auf die Dachplattform, aus der auch die Burg Střekov (Schreckenstein) zu sehen ist. Höher geht es nicht mehr, wenn der Besucher nicht auf die fünf Meter hohe Turmspitze klettern will.
Im Dachgeschoss befanden sich Zimmer für Dienstmädchen, später auch Zimmer für die großen Kinder und Abstellräume. Heute befinden sich dort Büroräume.
Die Villa hat ihre ursprünglichen Fenster und Türen, auch die meisten abgerundeten Tür- und Fensterklinken sind erhalten geblieben. Nur im Dachgeschoss sind nach der Rekonstruktion alle Türen neu.
Telefon mit der Numer 730
Von der technischen Ausstattung ist außer den Rollos praktisch nichts geblieben. Das Gebäude wurde durch Kachelofen geheizt, die längst verschwanden. Schon in der Kindheit von Johanna Herzigenberg wurde aber Brná elektrifiziert. Sie erinnert sich allerdings an den Generator und nennt ihn eine Teufelmaschine. „Niemand ging gerne ihn zu starten, es war eine schmutzige aber auch gefährliche Arbeit, denn die Transmissionen glitten leicht ab“, erklärt sie den Grund dafür. Die Villa hatte auch das erste und für eine lange Zeit auch das einzige Telefon in der Gemeinde, mit der Nummer 730.
Ein Bestandteil des Areals war die Gärtnerei mit drei Treibhäusern, wobei es in einem davon auch ein Becken gab, das aber der Baron mit Wasser zu füllen verbot, als einen vergeblichen Luxus. Oberhalb der Gärtnerei erstreckten sich Obstgärten. Die Grundstücke sind heutzutage zersplittert, einen Teil davon besitzen Privatpersonen, ein anderer Teil gehört der Stadt. Zu der Villa gehörten auch zwei kleine Gärtnerhäuser und eine private Kapelle, die bis heute steht.
Die Familie Herzogenberg musste aus ihrem Schlösschen im Jahr 1945 im Rahmen der Aussiedlung der deutschen Bevölkerung weggehen. Viele Gegenstände aus der Einrichtung der Villa landeten im Stadtmuseum in Ústí nad Labem. Ottokar und Bertha lebten bis zu ihrem Tode in Bayern. Ihre Tochter Johanna wurde zur bedeutenden Vertreterin der ausgesiedelten Deutschen und gewann eine Staatsauszeichnung für ihren Beitrag zur Versöhnung zwischen den beiden Völkern. In der Villa siedelten verschiedene Einrichtungen für Kinder und Jugendliche und im Jahr 1970 wurde sie zum Sitz der Bezirksveterinäranstalt. Demselben Zweck dient sie auch heute, nur mit dem Namen Regionale Veterinärverwaltung. Die Ausnützung der Räume wechselte, zum Beispiel im Kinderschlafzimmer befand sich ein Labor, im Wintergarten eine Veterinärambulanz. Es blieb jedoch von der ursprünglichen adeligen Schönheit des Schlösschens ziemlich viel erhalten.