Martin Krsek: Der Haupttreffer in der Lotterie
Die Villa, die am Rande von Ústí nad Labem aufwuchs, war der Haupttreffer in der Lotterie im Jahr 1903. Nach dem attraktiven Preis sehnten sich Eigentümer der Tausenden von verkauften Losen. Das niedliche Jugendstilhaus steht bis heute, es dient als eine Pension und kaum jemand kennt seine seltsame Geschichte.
Als 1903 der Grundstein der Villa gelegt wurde, erstreckte sich hier weit und breit nur ein grüner Hang. Heute wird das Haus von allen Seiten durch viele Mietshausblöcke gedrückt und die selbständig stehende Villa mit ihrem Garten sieht unter ihnen ein bisschen merkwürdig aus. In der Zeit ihrer Entstehung war sie aber mit ihrer Umgebung völlig im Einklang. Sie wurde als Bestandteil des Areals der „Allgemeinen deutschen Wirtschaftsaustellung“ gebaut und sie ist das einzige Gebäude, das aus dem großartigen Komplex bis in die Gegenwart erhalten blieb.
Allgemeine Ausstellungen, Analogien zu gegenwärtigen Messen, waren im 19. Jahrhundert sehr beliebt. Im Jahr 1891 wurde die berühmte Prager Jubiläumsausstellung der böhmischen Länder veranstaltet. Die damals zugespitzten deutsch-tschechischen Beziehungen führten aber die meisten Vertreter der Deutschen in Böhmen zur Ablehnung ihrer Teilnahme daran und zum Gedanken, eine eigene große Ausstellung zu veranstalten. Das erlebten sie eben im Jahr 1903 in Ústí nad Labem. Das Ausstellungsgelände wuchs außerhalb der Stadt, im Raum des heutigen Stadtparks auf. Obwohl es dem Prager nicht konkurrieren konnte, wurde es wirklich großzügig aufgefasst. Seinen Bestandteil bildete sogar ein Modell des mittelalterlichen Ústí in fast natürlicher Größe. Das „alte Ústí“ wurde von Stadtmauer mit Stadttoren umringt und innerhalb erstreckte sich der ganze Markt mit dem Renaissancerathaus als Dominante. Die Häuser waren aus Holz, aber sie sahen authentisch aus. Der Besucher fand drinnen Geschäfte mit Souvenirs und Imbiss. Nur die Seitenansicht verriet, dass es sich um Kulissen handelte. Im Ausstellungsareal befanden sich auch eine Alpenlandschaft mit einer Almhütte oder ein künstlicher Wasserfall.
Im Kontrast zu der Geschichte bauten die Organisatoren eine Industriehalle mit den Errungenschaften der modernen Technik. Die Dampfmaschinen rauschten, die Zahnräder rasselten und faszinierten die Besucher. Einer der Höhepunkte der Ausstellung war die öffentliche Sendung aus dem Pavillon der drahtlosen Telegraphie. Sie ging in die Geschichte der tschechischen Wissenschaft und Technik ein, es handelte sich um den überhaupt ersten Versuch auf unserem Gebiet. Zum Protektor der Ausstellung wurde der Erzherzog Ferdinand Karl und unter 600 Tausend Besuchern besichtigte die Ausstellung eine Reihe von Zelebritäten, zum Beispiel der Statthalter Karl Coudenhove.
Ohne Gewinner
Die Ausstellung veranstaltete der hiesige Gewerbeverein und um die Finanzierung eines so aufwendigen Projekts zu gewährleisten, entschied er sich, eine Förderlotterie zu organisieren. Er druckte Tausende von schönen farbigen Losen im Wert von einer Krone. Auf dem Los war der Hauptpreis abgebildet – die Villa im Wert von 20 000 Kronen. Die ließen die Organisatoren auf dem Hang oberhalb des Ausstellungsgeländes nach dem Entwurf des Architekten aus Ústí, Julius Hauser, bauen. Die Exkursion im Haus war ein Bestandteil des Ausstellungsrundgangs.
Die Ausstellung endete nach 87 Tagen und es kam zur Preisverlosung. Die Besitzer aller 17 820 verkauften Lose wurden aber enttäuscht. „Das Los mit der Nummer des Hauptpreises hatten niemand, es blieb nämlich unverkauft auf dem Ladentisch eines der Wiener Geschäfte“, beschrieb das Fiasko der Lotterie der Historiker aus Ústí, Tomáš Okurka, der sich mit der Geschichte der Ausstellung gründlich befasste. Die anderen Preise wie Möbel, eine silberne Truhe, ein Klavier oder Bilder wurden nur ein schwacher Trost für die erwartungsvollen Lotterieteilnehmer. Aber den Organisatoren kam der nicht gewonnene Preis zugute. Die Ausstellung kämpfte nämlich mit einem kleinen finanziellen Verlust, die Lotterie fand nicht so großen Nachhall wie man erwartete. „Die Veranstalter verkauften das Haus nach dem Abschluss der Ausstellung für 19 200 Kronen dem Maschinenführer Franz Fohry“, erleuterte den Beitrag der nicht gelungenen Lotterie Tomáš Okurka. Franz Fohry zog in die Villa mit seiner Ehefrau Anna-Marie, aber sie blieben dort nicht lange. Er bittet im Jahr 1917 noch die Stadt um Umpflasterung des Gehsteigs vor seinem Haus, aber schon 1923 führt das Adressbuch von Ústí den Namen eines neuen Bewohners auf. Der Maschinenführer verkaufte die Villa den Eigentümern der Nordböhmischen Fabrik für Glühbirnenherstellung , Zimmer und Zschocke. Die Dresdner Industriellen eröffneten ihre Zweigstelle in Ústí im Jahr 1919. Sie lieferten auf den Markt Glühbirnen der Marke Meteor. In die Villa zog Ing. Hugo Zschocke mit seiner Frau Selma. Und die Familie besaß das Haus bis Ende des Zweiten Weltkriegs.
Jugendstil mit Würtzeln in Historismus
Das Haus fällt durch Gliederung auf, auf der Fassade gibt es vielfältige Erker und Balkons, sie bietet aus jeder Seite einen ganz anderen Anblick. Trotzdem ist das Haus gegenüber dem ursprünglichen, auf dem Los abgebildeten Entwurf des Architekten Hauser bedeutend weniger dekorativ. Die Organisatoren der Ausstellung wollten evident einsparen, und so vereinfachten sie teilweise das Projekt. Es verschwanden das Türmchen aus dem Dach, die Ziertreppe in den Garten sowie die Zierfensterladen mit Herzchen usw. Im Grunde ist es jedoch dasselbe Haus geblieben. Obwohl es sich um die Jugendstilarchitektur handelt, ist das Haus immer noch fest in historisierenden Stilen verankert. Das charakteristischste Merkmal des Hauses stellen die das Fachwerk der mittelalterlichen Bürgerhäuser nachmachenden Giebel dar. Unter dem Einfluss des Jugendstils sind die Balken in ungewöhnlichen Formen verbogen. Sie bilden verschiedene Wellen, Bögen, sogar auch einen Kreis. Werden wir ein tatsächliches Jugendstilmotiv suchen, finden wir an der Fassade des Hauses eigentlich nur ein einziges. Die den Erker im Erdgeschoss tragenden Konsolen sind mit einem Stuck in Form von Pflanzenflechten dekoriert – ein Lehrbuchbeispiel der Jugendstilornamentik.
Die Villa machte Ende des 20. Jahrhunderts eine grundsätzliche Rekonstruktion durch, die dem baufälligen Objekt seinen Glanz wiedergab, die es aber zugleich mit kleineren Anbauten belastete, welche die Kapazität der Pension vergrößern sollen. Die gegenwärtige Eigentümerin Lada Heilmannová hat zu dem Haus eine tiefe Beziehung, denn sie hat es von ihren Großeltern geerbt. Die kauften das Objekt im Jahr 1945 als einen Konfiskat nach den Deutschen. Sie kamen in das Grenzgebiet aus Prag und in Ústí übernahmen sie die Leitung eines Fleischerunternehmens. Sie verliebten sich schnell in ihr neues Heim, 1956 ließen sie es sogar von einem Maler verewigen. Das Bild blieb erhalten und man kann ihm die Baumaßnahmen, die das Haus bis zu dieser Zeit betroffen hatten, entnehmen. Vor allem verschwand die geöffnete Halle am Eingang in den Garten. Durch eine Holzverschlagung entstand ein Wintergarten daraus, der aber mit dem Charakter des Hauses nicht im Einklang war. Bis Ende der 90er Jahre machte das Gebäude keine bedeutenderen Verwandlungen durch. Die alternden Eigentümer hatten jedoch keine Kraft nicht einmal die notwendigen Reparaturen durchzuführen. Das Haus war dann für eine gewisse Zeit unbewohnt.
Die Villa dient heute als eine Pension
Die Eingangstür mit der aktuellen Aufschrift „Penzion Lada“ ist über einhundert Jahre alt, die letzte Rekonstruktion hat sie respektiert, so wie auch alle anderen ursprünglichen Türen in den Interieurs. Hinter einem kleinen Vorraum erstreckt sich eine Treppenhalle. Die dient heute als Rezeption. Im Erdgeschoss befindet sich die Wohnung der Eigentümerin. Im früheren Hauptsalon frühstücken die Pensionsgäste und in der Nische des erwähnten Erkers thront ein Fernseher. Die ehemalige hölzerne Terrasse wurde nach der Rekonstruktion in den Garten erweitert und es entstand dadurch ein Zimmer der Eigentümerin. Die Treppe in das erste Obergeschoss ist aus Holz. Das Haus kam leider in der Zeit, als es für einige Monate leer war, um sein ursprüngliches Geländer. Es wurde gestohlen. Es ist eine einzige Geländersäule mit einem geschnitzten Kapitell geblieben, die in ihrer Form dem Jugendstilcharakter des Gebäudes entspricht.
Im Mezzanin befindet sich ein mit einem kleinen Gesims verzierter Eingang, der früher zur Toilette führte. Heute versteckt das Räumchen eine Waschmaschine und einen Trockner. Im ersten Obergeschoss und im Dachgeschoss entstanden sieben Gästezimmer. Das beliebteste hat eine Terrasse mit ursprünglichem Balustradengeländer.
Die Treppe in den Keller führt durch einen schmalen und langen Schacht. Der Keller liegt größerenteils oberhalb der Erdfläche und er ist somit relativ hell. Während des Protektorats errichteten hier die Eigentümer eine Wohnung für eine Untermieterin, aber bei einer Kontrolle im Jahr 1939 wurde vom Hygieniker festgestellt, es sei eher als eine „Gefängniszelle als eine Wohnung“. Die Räume dienten normalerweise als Kohlenlager, Wasch- und Trockenraum. Die gegenwärtige Eigentümerin hat sie zum Solarium und Fitness umgebaut.
Die merkwürdigen Umstände der Entstehung des Hauses sind seiner Eigentümerin bekannt. „Meine Großeltern kannten die Geschichte, aber ich erfuhr sie von ihnen erst kurz vor bevor ich das Haus übernahm. Dann erzählte mir auch ein Klient der Fitness davon“, sagt Lada Heilmannová. Als sie sich die Abbildung auf dem zeitgenössischen Bild ansah, tat es ihr ein bisschen leid, dass die Ausstellungsorganisatoren gespart hatten und das Projekt nicht in der vollen Form mit der ganzen entworfenen Verzierung realisiert hatten.